Veröffentlicht am Mai 11, 2024

Der Schlüssel zum Genuss von Kunst liegt nicht im Auswendiglernen von Fakten, sondern darin, die eigene, oft skeptische Reaktion als Startpunkt eines Dialogs zu akzeptieren.

  • Preis und Qualität eines Kunstwerks sind zwei völlig verschiedene Dinge; Auktionsrekorde spiegeln den Markt, nicht den künstlerischen Wert wider.
  • Die deutsche Kulturgeschichte, insbesondere die Nachkriegszeit, hat unsere Erwartungen an Kunst stark geprägt und führt oft zu Irritationen bei konzeptuellen Werken.
  • Gezielte Strategien, wie thematische Besuche und die bewusste Auswahl weniger Werke, können die Überforderung im Museum in tiefe, erinnerungswürdige Erlebnisse verwandeln.

Empfehlung: Betrachten Sie Ihren nächsten Museumsbesuch nicht als Prüfung, sondern als ein persönliches Gespräch. Fragen Sie nicht nur „Was soll das bedeuten?“, sondern auch „Was macht das mit mir?“.

Stehen Sie manchmal in einem Museum vor einem abstrakten Gemälde oder einer minimalistischen Installation und fragen sich: „Soll das Kunst sein?“ Sie sind damit nicht allein. Viele kulturinteressierte Menschen in Deutschland fühlen sich von bestimmten Kunstformen ausgeschlossen, als würde ihnen ein geheimer Code fehlen, den alle anderen verstehen. Die üblichen Ratschläge – den historischen Kontext recherchieren oder einfach nur das Schildchen lesen – führen oft nur zu mehr Frustration statt zu echter Begeisterung. Man nickt wissend, aber das Werk bleibt stumm.

Doch was, wenn das Problem nicht Ihr mangelndes Wissen ist, sondern die Herangehensweise selbst? Was, wenn die Irritation, die Verwirrung oder sogar die Ablehnung, die Sie spüren, nicht das Ende, sondern der eigentliche Anfang einer sinnvollen Auseinandersetzung ist? Dieser Artikel bricht mit der Idee, dass Kunst passiv „verstanden“ werden muss. Stattdessen schlagen wir einen neuen Weg vor: die dialogische Betrachtung. Wir zeigen Ihnen, wie Sie Ihre eigene Reaktion als wertvolles Werkzeug nutzen, um einen persönlichen und tiefen Zugang zu Kunst zu finden. Es ist ein Ansatz, der besonders in der kritischen und intellektuellen deutschen Kulturlandschaft erstaunlich fruchtbar ist.

Wir werden gemeinsam die psychologischen Hürden entlarven, die uns den Blick verstellen, den Mythos von Preis und Qualität entzaubern und Ihnen einen konkreten Werkzeugkoffer an die Hand geben. Damit verwandeln Sie den nächsten Museumsbesuch von einer pflichtbewussten Bildungsübung in ein persönliches Abenteuer.

Warum lösen Werke wie Barnett Newman bei den meisten Deutschen Unverständnis statt Begeisterung aus?

Ein riesiges, monochrom rotes Gemälde, durch das sich ein senkrechter Streifen zieht. Für viele deutsche Museumsbesucher ist das Werk von Barnett Newman der Inbegriff unverständlicher Kunst. Die Reaktion reicht oft von Kopfschütteln bis zu offener Verärgerung. Dieses Gefühl ist kein individuelles Versagen, sondern tief in unserer kulturellen Prägung verwurzelt. Wir sind es gewohnt, in der Kunst nach handwerklichem Geschick, einer erkennbaren Erzählung oder einer komplexen Komposition zu suchen. Abstrakte und konzeptuelle Kunst verweigert sich diesen Erwartungen bewusst.

Fallbeispiel: Joseph Beuys‘ „Fettecke“

Als Joseph Beuys 1982 fünf Kilogramm Butter in einer Ecke der Kunstakademie Düsseldorf installierte, war die Irritation perfekt. Nach seinem Tod wurde das als Kunstwerk deklarierte Fett von einem Hausmeister entfernt. Es folgte ein Rechtsstreit, bei dem das Land NRW 40.000 DM Schadensersatz zahlte. Dieses Ereignis zeigt exemplarisch die deutsche Schwierigkeit im Umgang mit radikaler Konzeptkunst, die Material über Form und Idee über Ästhetik stellt.

Das Unverständnis ist also oft ein Konflikt zwischen Erwartung und Realität. Künstler wie Newman oder Beuys wollten keine Geschichten erzählen, sondern einen Zustand erzeugen, einen Raum für eine persönliche, fast physische Erfahrung. Anstatt zu fragen „Was soll das darstellen?“, laden sie uns ein zu fragen: „Was passiert hier mit mir, vor diesem Werk?“. Obwohl laut der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse 2024 immerhin 2,74 Millionen Deutsche regelmäßig Museen und Galerien besuchen, bleibt diese offene Form der Begegnung für viele eine Herausforderung. Die Akzeptanz der eigenen, primären Reaktion – der Reaktions-Akzeptanz – ist der erste Schritt, diese Barriere zu überwinden.

Wie Sie in 5 Schritten einen Zugang zu moderner Installationskunst finden?

Installationskunst, die den gesamten Raum beansprucht, kann besonders einschüchternd wirken. Sie lässt sich nicht wie ein Bild an der Wand betrachten; sie umgibt uns und fordert Interaktion. Anstatt nach einer einzigen „Bedeutung“ zu suchen, können Sie sich dem Werk mit einer forschenden Haltung nähern. Der Schlüssel ist, die Begegnung als ein Schwellen-Erlebnis zu begreifen: den Moment, in dem Sie vom passiven Betrachter zum aktiven Teilnehmer im Raum werden. Die folgenden Schritte bieten einen praktischen Werkzeugkoffer, um diesen Zugang zu finden.

Besucherin erkundet interaktive Installation in einem weiten, lichtdurchfluteten Museumsraum

Wie die Besucherin im Bild können Sie sich physisch auf das Werk einlassen. Bewegen Sie sich durch den Raum, beobachten Sie, wie sich das Werk aus verschiedenen Perspektiven verändert und wie Licht und Schatten wirken. Dieser prozessorientierte Ansatz, der auf Neugier statt auf Vorwissen basiert, ist weitaus ergiebiger als die Suche nach einer versteckten Botschaft. Nutzen Sie diesen einfachen Fünf-Punkte-Plan als Leitfaden für Ihre nächste Begegnung mit Installationskunst:

  1. Das Material verstehen: Fragen Sie sich: Woraus besteht das Werk? Warum hat der Künstler dieses Material gewählt? Bei Beuys‘ „Fettecke“ etwa war Fett ein existenzielles Material seiner Kriegserfahrung und symbolisiert Energie und Transformation.
  2. Die Formbarkeit erkunden: Wie verhält sich das Material? Ist es hart, weich, flüchtig, stabil? Fett ist formbar, speichert aber Energie – diese physikalische Eigenschaft ist Teil der Aussage.
  3. Persönliche Reaktionen zulassen: Ihre Irritation, Faszination oder sogar Langeweile ist ein gültiger Teil des Erlebnisses. Diese Reaktion ist der Anfang des Dialogs, nicht ein Zeichen von Unverständnis.
  4. Den Dialog annehmen: Viele Künstler, wie Beuys, setzen bewusst auf die Diskussion, die ihre Werke auslösen. Ihre Fragen und Gedanken sind Teil des Konzepts.
  5. Den Kontext einbeziehen: Wenn Sie neugierig geworden sind, recherchieren Sie den historischen oder politischen Hintergrund. Aber tun Sie dies als zweiten Schritt, nicht als Voraussetzung.

Ölgemälde oder NFT-Kunst: Welche Form hat mehr kulturellen Wert im 21. Jahrhundert?

Die Debatte um den kulturellen Wert von Kunst wird heute hitziger denn je geführt, insbesondere an der Schnittstelle von Tradition und Technologie. Auf der einen Seite steht das jahrhundertealte Ölgemälde – ein physisches, haptisches Unikat. Auf der anderen Seite die NFT-Kunst – ein immaterielles, digitales Gut, dessen Einzigartigkeit durch eine Blockchain gesichert wird. Die Frage, was davon „mehr wert“ ist, lässt sich nicht pauschal beantworten, da sie tief in unseren kulturellen Wertesystemen verankert ist.

In Deutschland spielt der Begriff des „Kulturguts“ eine zentrale Rolle. Das Kulturgutschutzgesetz regelt den Umgang mit physischen Kunstwerken, um sie als nationales Erbe zu bewahren. Für digitale Kunstformen wie NFTs gibt es noch kaum rechtliche Rahmenbedingungen. Gleichzeitig positionieren sich innovative deutsche Institutionen an der Spitze dieser Entwicklung. Das folgende Tableau zeigt die wesentlichen Unterschiede und verdeutlicht, dass beide Kunstformen nach unterschiedlichen Kriterien bewertet werden müssen, wie eine Analyse des ZKM Karlsruhe, eines Vorreiters beim Sammeln von NFTs, nahelegt.

Vergleich: Traditionelle Kunst vs. Digitale NFT-Kunst
Kriterium Ölgemälde NFT-Kunst
Physische Präsenz Materiell, haptisch erfahrbar Digital, immateriell
Kulturgutschutz in Deutschland Durch Kulturgutschutzgesetz geregelt Rechtlich noch unklar
Energieverbrauch Minimal (nach Herstellung) Hoch durch Blockchain
Sammlung durch deutsche Museen Etablierte Tradition ZKM Karlsruhe sammelt früh NFTs
Marktwertstabilität Historisch stabil Hochvolatil

Der kulturelle Wert ist also kein fester Betrag, sondern ein Aushandlungsprozess. Während das Ölgemälde durch seine Geschichte und Materialität besticht, eröffnet die NFT-Kunst neue Formen des Besitzes, der Verbreitung und der künstlerischen Praxis. Wichtiger als die Frage nach dem „Mehr“ ist die Erkenntnis, dass jede Form auf ihre Weise unsere Kultur im 21. Jahrhundert widerspiegelt und prägt.

Die Preis-Qualität-Illusion: Warum Auktionspreise nichts über künstlerische Qualität aussagen

Ein Hammerschlag, ein neuer Rekordpreis – die Nachrichten über explodierende Auktionsergebnisse für Kunstwerke prägen die öffentliche Wahrnehmung. Schnell entsteht der Eindruck: Was teuer ist, muss auch gut sein. Diese Gleichung ist jedoch einer der größten Trugschlüsse in der Kunstwelt. Der Preis eines Kunstwerks auf dem Sekundärmarkt (also bei Auktionen) ist das Ergebnis von Angebot und Nachfrage, Marketingstrategien, dem Renommee der Sammler und Spekulationen – nicht unbedingt ein Maß für seine künstlerische Qualität oder historische Bedeutung.

Fallstudie: Barnett Newmans späte Anerkennung

Ein Blick auf die Biografie von Barnett Newman, dessen Werk heute Millionen wert ist, entlarvt diese Illusion. Während der 1950er Jahre wurde Newman meist verspottet und abgelehnt. Das Publikum bevorzugte farbenfrohere Maler wie Jackson Pollock. Obwohl der einflussreiche Kunstkritiker Clement Greenberg seine Arbeit enthusiastisch unterstützte, blieb der kommerzielle Erfolg aus. Erst in den letzten Jahren seines Lebens wurde Newman als Künstler wirklich ernst genommen, lange nachdem seine wichtigsten Werke entstanden waren.

Newmans Geschichte zeigt deutlich: Der Markt hinkt der künstlerischen Innovation oft Jahrzehnte hinterher. Die wahre Qualität eines Werkes liegt nicht in seinem Preisschild, sondern in seiner Fähigkeit, den Betrachter herauszufordern, neue Sichtweisen zu eröffnen und einen Dialog zu starten. Es ist genau dieser Aspekt, der für den Künstler selbst im Zentrum stand, wie Experten betonen.

Es ging Barnett Newman immer um die Begegnung zwischen dem Betrachter und dem Bild, um eine persönliche Interaktion.

– Kunstmuseum.com, Analyse zu Barnett Newman

Wenn Sie also das nächste Mal einen schwindelerregenden Auktionspreis sehen, erinnern Sie sich daran, dass dies eine Momentaufnahme des Marktes ist, nicht ein endgültiges Urteil über Kunst. Die Freiheit, ein Werk unabhängig von seinem Preis zu beurteilen, ist ein zentraler Bestandteil einer mündigen Kunstbetrachtung.

Wann lohnt sich der Einstieg in das Sammeln von Originalkunst: Die 3 Voraussetzungen?

Der Gedanke, Originalkunst zu sammeln, wirkt oft elitär und unerreichbar. Doch der Einstieg muss nicht mit Millionenbeträgen beginnen. Vielmehr geht es darum, eine persönliche Beziehung zu Kunstwerken aufzubauen und Künstler direkt zu unterstützen. Der Schritt vom Betrachter zum Sammler ist ein tiefgreifender, der sich lohnt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Es geht weniger um finanzielle Potenz als um Leidenschaft, Neugier und eine strategische Herangehensweise, die gerade in der dichten deutschen Kunstlandschaft mit ihren über 6.808 Museen und Ausstellungshäusern enorme Chancen bietet.

Nahaufnahme von Händen, die mit einer Lupe die Pinselstriche auf einem Ölgemälde untersuchen

Erfolgreiches Sammeln beginnt mit dem genauen Hinsehen und dem Entwickeln eines eigenen Geschmacks. Anstatt auf große Namen zu setzen, konzentrieren sich kluge Einsteiger darauf, junge Talente früh zu entdecken. Dafür bietet das deutsche Kunstsystem einzigartige Möglichkeiten. Wer den Einstieg erwägt, sollte die folgenden drei Voraussetzungen prüfen:

  • Voraussetzung 1: Die Recherche bei Rundgängen. Besuchen Sie die Jahresausstellungen renommierter deutscher Kunsthochschulen wie der Städelschule in Frankfurt oder der Kunstakademie Düsseldorf. Hier präsentieren Absolventen ihre Werke oft zu erschwinglichen Preisen – eine ideale Gelegenheit, zukünftige Stars früh zu entdecken.
  • Voraussetzung 2: Die Mitgliedschaft im Kunstverein. Das deutsche Modell der Kunstvereine ist weltweit fast einzigartig. Als Mitglied erhalten Sie Zugang zu exklusiven Jahresgaben – limitierte Editionen von bekannten Künstlern zu einem Bruchteil des Galeriepreises. Dies ist der perfekte Weg, eine qualitativ hochwertige Sammlung mit kleinem Budget zu starten.
  • Voraussetzung 3: Die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen. In Deutschland spielt die Spekulationsfrist eine wichtige Rolle: Verkaufen Sie ein Kunstwerk innerhalb eines Jahres nach dem Kauf mit Gewinn, ist dieser steuerpflichtig. Nach Ablauf dieser Frist ist der Gewinn in der Regel steuerfrei. Dieses Wissen ist für den strategischen Aufbau einer Sammlung entscheidend.

Wenn Sie diese drei Punkte – Recherche, Netzwerken und rechtliches Grundwissen – beherzigen, ist der Einstieg ins Sammeln nicht nur möglich, sondern auch eine zutiefst bereichernde Erfahrung.

Warum glauben die meisten Deutschen, nach der Schulzeit keine kreative Ader mehr zu haben?

„Ich kann nicht mal einen geraden Strich malen.“ Dieser Satz ist in Deutschland weit verbreitet und spiegelt einen tief sitzenden Glauben wider: Kreativität sei eine angeborene Gabe, die nur wenige besitzen. Das Schulsystem, das oft technisches Können über konzeptuelles Denken stellt und Leistungen in Noten presst, verstärkt diese Vorstellung. Wer im Kunstunterricht keine fotorealistischen Porträts zeichnen konnte, stempelt sich schnell als „unkreativ“ ab und trägt diese Überzeugung oft ein Leben lang mit sich.

Diese rigide Definition von Kreativität steht im krassen Gegensatz zu den Ideen, die Künstler wie Joseph Beuys propagierten. Sein berühmter Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ war ein radikaler Aufruf zur Demokratisierung der Kreativität. Für ihn war nicht die handwerkliche Fähigkeit entscheidend, sondern die Fähigkeit zu denken, zu fühlen und die Gesellschaft zu gestalten.

In den 1980ern sorgten Künstler wie Beuys für Aufregung in der Kunstwelt. Zusammen mit Andy Warhol brachen sie die altmodische, elitäre Idee von Kunst und machten sie für die Allgemeinheit zugänglich. Nach Beuys besaßen alle Menschen die Fähigkeit Künstler zu sein.

– ZEITjUNG, Joseph Beuys und die Fettecke

Beuys lebte diesen Glauben radikal, was zu einem der bekanntesten Skandale der deutschen Kunstgeschichte führte. Sein Kampf galt einem elitären System, das Kreativität als exklusiven Club definierte.

Fallstudie: Beuys‘ Kampf gegen elitäre Kunstbildung

Als Beuys eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf innehatte, nahm er jeden Studenten an, der sich bei ihm bewarb, und missachtete damit die offiziellen Zulassungsbeschränkungen. Als die Akademie nur 10 Plätze vergeben wollte, standen plötzlich fast 400 von Beuys akzeptierte Studenten im Sekretariat und forderten ihre Immatrikulation. Dieser Akt der künstlerischen und pädagogischen Rebellion kostete ihn letztendlich seinen Arbeitsplatz, zementierte aber seinen Ruf als Vorkämpfer für ein universelles Recht auf Kreativität.

Der Glaube, keine kreative Ader zu haben, ist also oft das Ergebnis einer zu engen, gesellschaftlich geprägten Definition. Kreativität ist nicht nur Malen oder Zeichnen; sie ist Problemlösung, unkonventionelles Denken und die Fähigkeit, neue Verbindungen zu schaffen. Diese Fähigkeit schlummert in jedem von uns.

Warum erinnern sich Besucher an maximal 5 Werke, auch wenn sie 200 gesehen haben?

Ein langer Nachmittag in einem großen Museum: Sie wandern durch Dutzende Säle, vorbei an Hunderten von Kunstwerken. Am Ende des Tages fühlen Sie sich erschöpft, aber kulturell bereichert. Doch wenn Sie eine Woche später gefragt werden, woran Sie sich erinnern, fallen Ihnen vielleicht nur eine Handvoll Werke ein. Dieses Phänomen ist als „Museumsmüdigkeit“ bekannt. Es ist ein kognitiver und emotionaler Erschöpfungszustand, der unsere Aufnahmefähigkeit drastisch reduziert.

Das Paradoxe daran ist, dass die meisten Menschen mit ihrem Besuchserlebnis zufrieden sind. Eine europäische Publikumsbefragung von 2024 zeigt, dass die große Mehrheit der Befragten in Deutschland mit ihrem Museumsbesuch sehr zufrieden ist. Wir verwechseln die schiere Menge an Gesehenem mit der Qualität des Erlebten. Unser Gehirn ist jedoch nicht darauf ausgelegt, Hunderte von komplexen visuellen Informationen in kurzer Zeit zu verarbeiten und zu speichern. Es priorisiert das, was eine emotionale oder intellektuelle Reaktion hervorruft – und das sind selten mehr als eine Handvoll Eindrücke.

Die Erinnerung an ein Kunstwerk entsteht nicht durch flüchtiges Betrachten, sondern durch eine tiefere, persönliche Auseinandersetzung. Es ist die physische Präsenz vor dem Werk, die eine nachhaltige Wirkung ermöglicht. Dies erklärt auch, warum rein digitale Angebote oft als unzureichend empfunden werden.

Digitale vs. physische Museumserfahrung

Obwohl Museen ihre digitalen Angebote ausbauen, können sich die meisten Besucher einen rein virtuellen Museumsbesuch nicht vorstellen. Die Studie zeigt, dass Besucher vom Museum der Zukunft vor allem interaktive und immersive Erlebnisse vor Ort erwarten. Die physische Präsenz in einem Raum, die Auseinandersetzung mit dem Original, bleibt zentral für die Bildung von tiefen und bleibenden Erinnerungen.

Die Erkenntnis ist einfach, aber wirkungsvoll: Es ist besser, sich bewusst mit fünf Werken auseinanderzusetzen, als an 200 vorbeizueilen. Qualität der Betrachtung schlägt immer die Quantität. Anstatt ein ganzes Museum „abarbeiten“ zu wollen, sollten wir unsere Besuche als gezielte Expeditionen zu einigen wenigen, ausgewählten Schätzen planen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Akzeptieren Sie Ihre erste Reaktion auf ein Kunstwerk (auch Verwirrung) als gültigen Ausgangspunkt für einen Dialog.
  • Trennen Sie den Marktwert eines Kunstwerks strikt von seiner künstlerischen Qualität und Ihrem persönlichen Urteil.
  • Bekämpfen Sie die „Museumsmüdigkeit“ durch bewusste Reduktion: Weniger Werke intensiver zu betrachten schafft tiefere Erinnerungen.

Wie Sie Ihre Museumszeit optimal nutzen ohne Überforderung

Nachdem wir verstanden haben, dass unser Gehirn nur eine begrenzte Anzahl von Eindrücken wirklich verarbeiten kann, stellt sich die Frage: Wie gestalten wir einen Museumsbesuch, der inspiriert statt erschlägt? Die Lösung liegt in einer strategischen Vorbereitung und einer bewussten Fokussierung vor Ort. Statt sich treiben zu lassen und zu versuchen, alles zu sehen, übernehmen Sie die Kontrolle über Ihr Erlebnis. Dies ist besonders relevant in Deutschland, wo eine repräsentative Bevölkerungsbefragung 2024 ergab, dass 32% der Bevölkerung mindestens einmal jährlich ein Museum besuchen, wobei Personen mit hohem Bildungsniveau überdurchschnittlich vertreten sind. Der Anspruch an einen „erfolgreichen“ Besuch ist oft hoch.

Der Schlüssel liegt darin, den Besuch als eine gezielte Mission zu betrachten, nicht als einen Marathon. Es geht darum, wenige, aber intensive Schwellen-Erlebnisse zu schaffen, die in Erinnerung bleiben. Die folgende Checkliste bietet Ihnen einen praktischen Rahmen, um Ihren nächsten Besuch von Anfang an anders zu gestalten und die gefürchtete Überforderung zu vermeiden.

Ihr Aktionsplan für einen besseren Museumsbesuch

  1. Thematische Schnitzeljagd planen: Wählen Sie vor dem Besuch ein spezifisches, persönliches Thema. Statt „alles von Rubens“ zu suchen, könnten Sie sich in der Alten Pinakothek in München auf die Suche nach den dramatischsten Wolkenformationen oder den interessantesten Tierdarstellungen begeben.
  2. Besuch im Voraus fokussieren: Sehen Sie sich online den Museumsplan an und treffen Sie eine Entscheidung: Wählen Sie nur EINEN Flügel, EINE Epoche oder EINE Sonderausstellung aus, die Sie wirklich interessiert. Ignorieren Sie den Rest für dieses Mal.
  3. Nachbereitung im Museumscafé: Setzen Sie sich nach Ihrem Rundgang bewusst für 15 Minuten ins Café. Nehmen Sie ein Notizbuch und schreiben Sie drei Gedanken oder Gefühle zu dem einen Werk auf, das Sie am meisten beeindruckt hat.
  4. Strategisches Museums-Hopping betreiben: Anstatt vier Stunden in einem riesigen Museum zu verbringen, besuchen Sie lieber zwei kleinere Museen oder Galerien für jeweils 1,5 Stunden. Das hält den Geist frisch und die Eindrücke intensiv.
  5. Museumspässe clever nutzen: Wenn Sie in einer Stadt mit vielen Museen leben, nutzen Sie Pässe wie den Museums-Pass-Berlin nicht, um an einem Tag so viel wie möglich zu sehen, sondern um viele kurze, gezielte Besuche über das Jahr zu verteilen.

Indem Sie diese einfachen Strategien anwenden, verwandeln Sie den Museumsbesuch von einer passiven Konsumerfahrung in eine aktive, selbstbestimmte und letztlich weitaus befriedigendere Entdeckungsreise.

Jetzt, da Sie mit einem neuen Werkzeugkoffer ausgestattet sind, liegt es an Ihnen, diese Methoden anzuwenden. Trauen Sie sich, Ihren nächsten Museumsbesuch anders zu gestalten, Ihren eigenen Reaktionen zu vertrauen und die faszinierende Welt der Kunst im direkten Dialog für sich zu entdecken.

Geschrieben von Claudia Wagner, Dr. Claudia Wagner ist promovierte Kunsthistorikerin und seit 12 Jahren als Kuratorin und Museumspädagogin tätig. Als stellvertretende Direktorin eines städtischen Kunstmuseums in Nordrhein-Westfalen verantwortet sie Ausstellungskonzeptionen im Bereich zeitgenössischer Kunst sowie Vermittlungsprogramme für diverse Zielgruppen. Sie ist Mitglied im Deutschen Museumsbund und publiziert regelmäßig zu Fragen der Kunstvermittlung.