Veröffentlicht am März 11, 2024

Geistige Jugend ist kein Ergebnis von Kreuzworträtseln, sondern einer bewussten Portfolio-Strategie für Ihr Leben.

  • Lebenslanges, neugieriges Lernen erhöht nachweislich die kognitive Reserve und schützt das Gehirn vor altersbedingtem Abbau.
  • Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen tiefem Expertenwissen und breiter, generalistischer Neugier bietet die größte Bereicherung und Resilienz.

Empfehlung: Orchestrieren Sie Ihre Zeit bewusst: Investieren Sie 60% in Ihre stabile Basis, 30% in ein tiefgehendes Lernprojekt und 10% in reine Entdeckungsexperimente.

Fühlt sich Ihr Alltag manchmal wie eine Endlosschleife an? Derselbe Weg zur Arbeit, die gleichen Aufgaben, die vertrauten Abendroutinen. Diese Stabilität gibt Sicherheit, doch mit den Jahren kann sie sich in einen goldenen Käfig verwandeln, der unsere Neugier erstickt und die geistige Landschaft veröden lässt. Viele Menschen greifen dann zu den üblichen Ratschlägen: Sudoku lösen, gesund ernähren, vielleicht ein Buch mehr lesen. Diese Werkzeuge sind nützlich, aber sie sind nur einzelne, isolierte Pinselstriche auf einer viel größeren Leinwand.

Die wahre Quelle geistiger Jugend und Flexibilität liegt nicht in einzelnen Gehirnjogging-Übungen. Sie liegt in einem fundamentalen Perspektivwechsel. Was wäre, wenn der Schlüssel nicht in isolierten Aktivitäten liegt, sondern in der Art und Weise, wie wir unser gesamtes Leben als ein Portfolio aus Sicherheit, Wachstum und Entdeckung betrachten? Es geht darum, eine systematische Herangehensweise an die Neugier zu entwickeln – eine bewusste Investitionsstrategie in unsere eigene kognitive Vitalität. Dieser Ansatz verwandelt das „geistig fit bleiben“ von einer lästigen Pflicht in ein aufregendes, lebenslanges Abenteuer.

Dieser Artikel führt Sie durch die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Strategie. Sie werden entdecken, wie Sie mit einfachen, wöchentlichen Gewohnheiten Ihre Entdeckerfreude reaktivieren, die richtige Balance zwischen Stabilität und Neuem finden und schließlich alle Bereiche Ihres Lebens so orchestrieren, dass sie sich gegenseitig nähren und stärken. Es ist an der Zeit, die Landkarte der Routine zu verlassen und die eigene geistige Welt neu zu entdecken.

Um diesen Weg strukturiert anzugehen, beleuchten wir verschiedene Facetten der geistigen Flexibilität. Der folgende Überblick zeigt Ihnen die Etappen unserer gemeinsamen Entdeckungsreise.

Warum haben neugierige Menschen mit 70 die geistige Fitness von durchschnittlichen 55-Jährigen?

Die Vorstellung, dass geistiger Abbau im Alter unvermeidlich ist, gehört zu den hartnäckigsten Mythen unserer Gesellschaft. Die Neurowissenschaft zeichnet jedoch ein deutlich optimistischeres Bild: Geistige Jugend ist weniger eine Frage des Geburtsdatums als vielmehr eine Konsequenz unseres Lebensstils. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die sogenannte kognitive Reserve. Man kann sie sich wie ein geistiges Sparkonto vorstellen: Jede neue Lernerfahrung, jedes gelöste Problem und jede neue Perspektive zahlt auf dieses Konto ein. Je größer die Reserve, desto besser kann unser Gehirn altersbedingte Veränderungen oder sogar pathologische Prozesse kompensieren.

Neugierige Menschen sind Meister im Aufbau dieser Reserve. Sie suchen aktiv nach neuen Reizen, sei es durch Reisen, das Erlernen eines Instruments oder die Auseinandersetzung mit komplexen Themen. Diese ständige Stimulation fördert die Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, neue neuronale Verbindungen zu knüpfen. Studien untermauern dies eindrucksvoll. So zeigt sich, dass heutige 75-Jährige geistig fitter und leistungsfähiger sind als Gleichaltrige vor 20 Jahren, was auf ein höheres Bildungsniveau und einen aktiveren Lebensstil zurückgeführt wird.

Dieser Effekt ist so stark, dass die Zeitspanne gesundheitlicher Einschränkungen am Lebensende tendenziell nicht länger, sondern komprimierter wird. Professor Denis Gerstorf von der HU Berlin fasst die Erkenntnisse der Berliner Altersstudie II (BASE-II), einer der umfassendsten Langzeitstudien zum Altern in Deutschland, treffend zusammen:

Wir gehen davon aus, dass sich die Zeit, in der ältere Menschen von gesundheitlichen Einschränkungen oder geistigen Einbußen betroffen sind, durch die verlängerte Lebenserwartung nicht einfach in die Länge zieht, sondern sich zum Ende des Lebens hin verdichtet.

– Denis Gerstorf, Professor für Entwicklungspsychologie, HU Berlin

Ein Leben in Neugier ist also die beste Versicherung für einen klaren und flexiblen Geist bis ins hohe Alter. Es geht nicht darum, dem Altern zu entkommen, sondern darum, die Qualität der gewonnenen Jahre aktiv zu gestalten.

Wie Sie durch 3 wöchentliche Gewohnheiten Ihre Entdeckerfreude reaktivieren?

Der „Neugier-Muskel“ verkümmert, wenn er nicht trainiert wird. Im Strudel des Alltags verlieren wir oft den Impuls, Neues zu entdecken. Die gute Nachricht: Mit gezielten, regelmäßigen Gewohnheiten lässt sich diese Entdeckerfreude systematisch reaktivieren. Es geht nicht darum, das Leben komplett umzukrempeln, sondern kleine, feste „Entdecker-Slots“ im Kalender zu blockieren. Diese Rituale durchbrechen die Routine und schaffen Raum für unerwartete Impulse. Der Schlüssel liegt in der Regelmäßigkeit, nicht in der Intensität.

Die folgende Abbildung zeigt eine typische Lernumgebung, wie sie beispielsweise in Volkshochschulen zu finden ist – ein idealer Ort, um den ersten Schritt aus der Komfortzone zu wagen.

Gruppe verschiedenaltriger Menschen in einem hellen VHS-Kursraum beim gemeinsamen Lernen

In solchen Umgebungen treffen unterschiedliche Generationen und Lebenswelten aufeinander, was den Lerneffekt zusätzlich bereichert. Um diesen Prozess zu starten, können Sie drei einfache, aber wirkungsvolle wöchentliche Gewohnheiten etablieren:

  • Der VHS-Schnupper-Mittwoch: Reservieren Sie einen Abend pro Woche konsequent für einen Kurs an der örtlichen Volkshochschule. Das Angebot in Deutschland ist riesig und reicht von Ikebana über Plattdeutsch bis hin zur Astronomie. Der feste Termin schafft Verbindlichkeit.
  • Die lokale Erkundungstour: Besuchen Sie wöchentlich einen Ihnen unbekannten Ort im eigenen Landkreis. Das kann ein kleines Heimatmuseum, ein verstecktes Naturschutzgebiet oder der Tag der offenen Tür bei einem lokalen Handwerksbetrieb sein. Sie werden überrascht sein, was direkt vor Ihrer Haustür verborgen liegt.
  • Das Generationen-Tandem: Organisieren Sie regelmäßige Treffen mit Personen, die mindestens 20 Jahre jünger oder älter sind als Sie. Plattformen wie Mehrgenerationenhäuser sind ideale Anlaufstellen. Der Austausch von Lebenserfahrungen und Perspektiven ist ein unschätzbarer Katalysator für geistige Flexibilität.

Diese drei Gewohnheiten sind mehr als nur Hobbys. Sie sind ein strukturiertes Training, um das Gehirn wieder an den Prozess des Entdeckens und Lernens zu gewöhnen. Sie zwingen uns, neue Denkmuster zu entwickeln und unsere Komfortzone schrittweise zu erweitern.

Generalist mit vielen Interessen oder Experte in einem Bereich: Was bereichert das Leben mehr?

Die Frage, ob ein breites, oberflächliches Wissen oder eine tiefe, spezialisierte Expertise erstrebenswerter ist, beschäftigt viele Menschen. In der heutigen Arbeitswelt wird oft der Spezialist gefeiert. Für die geistige Flexibilität und Lebenszufriedenheit im Alter ist die Antwort jedoch differenzierter. Es ist kein „Entweder-oder“, sondern ein „Sowohl-als-auch“. Die ideale Form ist das Modell des „T-Shaped“-Individuums: eine Person mit einer tiefen Expertise in einem Bereich (der vertikale Strich des „T“) und einem breiten Wissen und Interesse in vielen anderen Bereichen (der horizontale Strich).

Die deutsche Kulturgeschichte bietet faszinierende Beispiele für diesen Ansatz. Wie historische Betrachtungen zeigen, waren Persönlichkeiten wie Alexander von Humboldt und Hildegard von Bingen erfolgreiche Generalisten, die tiefes Fachwissen mit einer unbändigen, fachübergreifenden Neugier verbanden. Sie wechselten mühelos die Perspektiven und schufen so bahnbrechende, neue Erkenntnisse. Diese Fähigkeit, Muster und Verbindungen zwischen scheinbar unzusammenhängenden Feldern zu erkennen, ist ein Kernmerkmal hoher geistiger Flexibilität.

Ein reines Expertentum birgt die Gefahr der geistigen „Monokultur“ und macht anfällig, wenn sich das Fachgebiet radikal ändert oder im Alter nicht mehr ausgeübt werden kann. Der reine Generalist hingegen läuft Gefahr, an der Oberfläche zu bleiben. Die Kombination aus beidem bietet das Beste aus beiden Welten, wie der folgende Vergleich zeigt:

Generalist vs. Experte – Vor- und Nachteile im Alter
Aspekt Generalist Experte
Geistige Flexibilität Höhere Anpassungsfähigkeit an neue Situationen Tiefere Expertise in spezifischem Bereich
Soziale Vernetzung Breiteres Netzwerk durch diverse Interessen Intensivere Kontakte in Fachkreisen
Resilienz im Alter Mehr Ausweichmöglichkeiten bei Einschränkungen Identitätsstiftung durch Expertenstatus
Lebensfreude Vielfältige Stimulation und Abwechslung Erfüllung durch Meisterschaft

Die wahre Bereicherung liegt also in der Balance. Nutzen Sie Ihre berufliche Expertise als stabiles Fundament, aber kultivieren Sie aktiv den „horizontalen Balken“ Ihres „T“ durch vielfältige Interessen. So schaffen Sie nicht nur mehr Resilienz, sondern auch ein reicheres, erfüllteres Leben.

Das Lernfrust-Syndrom: Warum mehr als 3 neue Lernprojekte gleichzeitig 80% scheitern lassen

Wer seine Neugier wiederentdeckt, verfällt oft in einen Zustand euphorischer Übermotivation: Spanisch lernen, Töpfern ausprobieren, einen Programmierkurs beginnen – und das alles gleichzeitig. Das Ergebnis ist fast immer dasselbe: kognitive Überlastung, schwindende Motivation und am Ende der Abbruch aller Projekte. Dieses Phänomen lässt sich als Lernfrust-Syndrom bezeichnen. Unser Gehirn ist zwar unglaublich anpassungsfähig, aber seine Kapazität für die bewusste Verarbeitung neuer, komplexer Informationen ist begrenzt.

Der Versuch, zu viele neue Fähigkeiten parallel zu erlernen, führt zu einem ständigen „Context Switching“, das enorme mentale Energie kostet. Keinem der Projekte kann die nötige Tiefe und Aufmerksamkeit gewidmet werden, was schnelle Fortschritte und die damit verbundenen motivierenden Erfolgserlebnisse verhindert. Die Lösung liegt in der radikalen Begrenzung. Die bewährte Kanban-Methode aus dem Projektmanagement lässt sich hervorragend auf persönliche Lernvorhaben anwenden. Das Kernprinzip ist die Limitierung der „Work in Progress“ (WiP).

Nahaufnahme eines persönlichen Kanban-Boards mit bunten Haftnotizen in drei Spalten

Ein persönliches Kanban-Board, wie im Bild schematisch dargestellt, visualisiert den Lernprozess. Jedes Lernvorhaben wird auf eine Karte geschrieben und durchläuft Spalten wie „Ideen-Speicher“, „In Arbeit“ und „Abgeschlossen“. Der entscheidende Punkt ist die Regel, dass sich zu keinem Zeitpunkt mehr als eine bestimmte Anzahl an Karten in der „In Arbeit“-Spalte befinden darf. Die Kanban-Methode empfiehlt für eine erfolgreiche Selbstorganisation, die Anzahl der parallelen Aufgaben stark zu begrenzen. Für komplexe Lernprojekte hat sich ein WiP-Limit von maximal zwei bewährt.

Diese Fokussierung zwingt zur Priorisierung und stellt sicher, dass Sie bei einem Projekt signifikante Fortschritte machen, bevor Sie das nächste beginnen. Dies schafft einen positiven Kreislauf aus Erfolg, Motivation und dem Wunsch, weiterzulernen, anstatt in der Falle des Lernfrust-Syndroms zu landen.

Wann ist Stabilität eine Falle und wann ist sie Fundament: Die Unterscheidung?

Stabilität ist ein zweischneidiges Schwert. Eine sichere berufliche Position, gefestigte soziale Beziehungen und eingespielte Routinen bilden das Fundament, von dem aus wir Neues wagen können. Sie geben uns die mentale und finanzielle Sicherheit, um Risiken einzugehen, wie zum Beispiel einen Bildungsurlaub zu nehmen oder ein zeitintensives Hobby zu beginnen. Ohne dieses Fundament wären wir ständig im Krisenmodus und hätten kaum Ressourcen für Entdeckungen. Doch genau diese Stabilität kann zur Falle werden, wenn sie sich von einem Sprungbrett in einen goldenen Käfig verwandelt.

Die Falle schnappt zu, wenn die Bequemlichkeit der Routine den Wunsch nach Neuem erstickt. Wenn die Angst, den sicheren Status quo zu gefährden, größer wird als die Neugier auf das Unbekannte. Man beginnt, neue Technologien aus Prinzip zu meiden, lehnt neue soziale Kontakte ab, weil sie den gewohnten Kreis stören, und rechtfertigt die eigene Trägheit mit der Notwendigkeit von „Sicherheit“. Wie das easierLife Magazin treffend rät, ist der Ausbruch aus diesem Muster ein aktiver Prozess: „Verlassen Sie Ihre gewohnten Abläufe.“

Die entscheidende Frage ist also: Nutze ich meine Stabilität als Basis für Wachstum oder als Ausrede für Stillstand? Eine ehrliche Selbstreflexion ist der erste Schritt zur Unterscheidung. Die folgende Checkliste kann Ihnen dabei helfen, Ihre eigene Situation zu bewerten.

Aktionsplan: Ist meine Stabilität Sprungbrett oder goldener Käfig?

  1. Letztes „Erstes Mal“ auditieren: Listen Sie auf, wann Sie das letzte Mal etwas getan haben, wofür Sie keinerlei Vorerfahrung besaßen (z.B. ein neues Gericht kochen, eine unbekannte App nutzen).
  2. Sicherheits-Check: Identifizieren Sie eine Sache, die Sie gerne ausprobieren würden, aber aus Sicherheitsbedenken (finanziell, sozial) aufschieben. Notieren Sie das konkrete „Worst-Case-Szenario“.
  3. Ressourcen-Nutzung prüfen: Überprüfen Sie, ob Sie Ihre stabile Position aktiv für Wachstum nutzen. Haben Sie sich über Bildungsurlaub informiert? Nutzen Sie Ihr sicheres Einkommen für Kurse oder Reisen?
  4. Routine-Bruch planen: Planen Sie für die nächste Woche bewusst drei kleine Abweichungen von Ihren gewohnten Abläufen (z.B. ein anderer Weg zur Arbeit, Mittagessen an einem neuen Ort, ein Gespräch mit einem unbekannten Nachbarn).
  5. Technologie-Offenheit bewerten: Bewerten Sie auf einer Skala von 1-10 Ihre Bereitschaft, neue Technologien (Apps, Geräte) auszuprobieren. Wenn der Wert unter 5 liegt, wählen Sie eine neue Technologie, die Sie in den nächsten 4 Wochen testen wollen.

Die Antworten auf diese Fragen geben einen klaren Hinweis darauf, ob Ihre Stabilität Ihnen dient oder Sie gefangen hält. Ein Fundament ist dazu da, um darauf zu bauen – nicht, um darauf stillzustehen.

Warum haben Menschen mit breitem Musikgeschmack nachweislich höhere Kreativität?

Musik ist weit mehr als nur akustische Unterhaltung; sie ist ein intensives Training für das Gehirn. Menschen mit einem breiten Musikgeschmack, die sich also für Klassik ebenso wie für elektronische Musik, Jazz oder Weltmusik begeistern können, setzen ihr Gehirn einer enormen Vielfalt an Mustern, Strukturen, Rhythmen und harmonischen Verläufen aus. Diese ständige Konfrontation mit Neuem und Unerwartetem schult eine der Kernkompetenzen von Kreativität: die Fähigkeit, flexibel zu denken und unkonventionelle Verbindungen herzustellen.

Das Gehirn versucht permanent, Muster in der Musik zu erkennen und Vorhersagen über den weiteren Verlauf zu treffen. Ein breiter Musikgeschmack durchbricht diese Vorhersagen immer wieder und zwingt das neuronale Netzwerk, sich anzupassen und neue Verknüpfungen zu schaffen. Dieser Prozess stärkt genau jene neuronalen Pfade, die auch für kreatives Problemlösen und „Querdenken“ zuständig sind. Es ist, als würde man dem Gehirn eine Vielzahl verschiedener Sprachen beibringen, was es ihm erleichtert, Ideen auf neue Weise zu „formulieren“.

Der positive Effekt von Musik auf die Kognition ist wissenschaftlich gut belegt, insbesondere beim aktiven Musizieren. Eine Studie der University of South Florida zum Erlernen von Musikinstrumenten zeigt, dass selbst im Seniorenalter Menschen ihre kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis und Problemlösen in kurzer Zeit signifikant verbessern. Der neurologische Prozess dahinter ist faszinierend: Das Erlernen und Üben feinmotorischer Bewegungen beim Spielen eines Instruments in Kombination mit dem Hören und Interpretieren von Tönen hat einen der größten Trainingseffekte auf das Gehirn. Es regt die Bildung neuer Synapsen an und stärkt die Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnarealen, was eine wirksame Maßnahme zur Vorbeugung gegen Demenzerkrankungen wie Alzheimer darstellt.

Ein breiter Musikgeschmack ist also kein bloßes Lifestyle-Merkmal, sondern ein Indikator für einen offenen und anpassungsfähigen Geist. Er ist ein einfaches, aber wirkungsvolles Mittel, um die eigene Kreativität und kognitive Flexibilität täglich zu nähren.

Warum glauben die meisten Deutschen, nach der Schulzeit keine kreative Ader mehr zu haben?

In Deutschland herrscht eine paradoxe Situation: Wir sind eine Nation von Ingenieuren, Tüftlern und Organisatoren – alles Tätigkeiten, die ein hohes Maß an kreativer Problemlösung erfordern. Dennoch würden viele Erwachsene von sich behaupten, „nicht kreativ“ zu sein. Diese weit verbreitete Selbsteinschätzung hat ihre Wurzeln oft im deutschen Schulsystem. Wie Bildungsexperten kritisieren, wird Kreativität dort häufig fehlinterpretiert. Der Fokus auf Notendruck und standardisierte Leistungsbewertung in Fächern wie Kunst und Musik vermittelt oft unbewusst eine fatale Botschaft: „Kreativität ist eine benotbare Begabung, die man entweder hat oder nicht hat.“

Wer im Kunstunterricht keine fotorealistischen Bilder malen oder in Musik nicht perfekt singen konnte, bekam oft eine mittelmäßige Note und internalisierte die Überzeugung, keine kreative Ader zu besitzen. Diese enge Definition von Kreativität, die sie auf künstlerisches Talent reduziert, ignoriert die unzähligen Formen, in denen sich Kreativität im Alltag manifestiert. Diese früh erlernte „kreative Hilflosigkeit“ führt dazu, dass viele Erwachsene ihre eigenen kreativen Leistungen nicht als solche anerkennen.

Es ist an der Zeit, diesen begrenzten Kreativitätsbegriff aufzubrechen und die vielfältigen Formen der deutschen Alltagskreativität wertzuschätzen. Sie ist überall um uns herum, oft in sehr praktischen und strukturierten Formen:

  • Der Schrebergarten: Er ist nicht nur ein Ort des Gemüseanbaus, sondern ein komplexer Gestaltungsraum für Landschaft, Ästhetik und Ökosysteme.
  • Das Tüfteln am Oldtimer: Das Reparieren und Optimieren eines alten Mopeds oder Autos ist ein hochkreativer Akt, der technisches Verständnis, Improvisationstalent und Problemlösungskompetenz vereint.
  • Die Organisation von Vereinsfesten: Die Planung eines Events von der Logistik über das Programm bis zur Dekoration ist eine kreative Meisterleistung im Projektmanagement.
  • Das Kochen nach Familienrezepten: Ein altes Rezept nicht nur zu befolgen, sondern es mit eigenen Ideen zu variieren und zu verbessern, ist angewandte Kreativität.
  • Handwerkliche Projekte: Ein Regal zu bauen oder eine Wand zu streichen, kann, wenn es ohne Perfektionsdruck geschieht, ein zutiefst befriedigender kreativer Prozess sein.

Indem wir diese alltäglichen kreativen Akte anerkennen, können wir die Fesseln der schulischen Bewertung sprengen. Kreativität ist kein exklusiver Club für Künstler, sondern eine menschliche Grundeigenschaft, die sich in der Art und Weise zeigt, wie wir Probleme lösen, Systeme optimieren und unsere Umwelt gestalten.

Das Wichtigste in Kürze

  • Geistige Fitness ist keine Frage des Alters, sondern das Ergebnis lebenslanger, systematischer Neugier.
  • Ein „Lebens-Portfolio“ aus Stabilität (60%), fokussiertem Wachstum (30%) und Experimenten (10%) ist der Schlüssel zur Balance.
  • Limitieren Sie aktive Lernprojekte auf maximal zwei gleichzeitig, um Überforderung zu vermeiden und nachhaltige Erfolgserlebnisse zu sichern.

Wie Sie alle Lebensbereiche so orchestrieren, dass sie sich gegenseitig stärken

Der Schlüssel zu nachhaltiger geistiger Flexibilität liegt nicht in einzelnen, unverbundenen Aktivitäten, sondern in der bewussten Orchestrierung Ihres gesamten Lebens. Stellen Sie sich Ihr Leben nicht als eine lineare Karriereleiter vor, sondern als ein diversifiziertes Investment-Portfolio. Dieser Ansatz, das Lebens-Portfolio-Modell, hilft Ihnen, Ihre Zeit und Energie strategisch zu verteilen, um sowohl Sicherheit als auch Wachstum und Entdeckung zu gewährleisten. So stellen Sie sicher, dass die verschiedenen Bereiche sich gegenseitig nähren, anstatt miteinander zu konkurrieren.

Dieses Modell teilt Ihre Lebensaktivitäten in drei „Anlageklassen“ ein, die an Finanzkonzepte angelehnt sind. Jede Klasse hat eine andere Funktion für Ihre geistige und emotionale Stabilität und Ihr Wachstum. Wie eine Analyse der Hirnstiftung nahelegt, ist eine solche ausgewogene Lebensführung ein wichtiger Faktor für die geistige Fitness im Alter. Die Verteilung Ihrer Zeit und Energie könnte wie folgt aussehen:

Das Lebens-Portfolio-Modell
Anlageklasse Beschreibung Beispiele Zeitanteil
Stabile Bundesanleihen Sichere Basis des Lebens Beruf, Familie, Gesundheitsroutinen 60%
Blue-Chip-Aktien Wachstumsprojekte Ein tiefgehendes Lernprojekt zur Kompetenzerweiterung 30%
Venture Capital Experimente & Entdeckungen VHS-Kurse, neue Rezepte, Museumsbesuche 10%

Der Großteil Ihrer Zeit (ca. 60%) fließt in die „stabilen Bundesanleihen“: Ihr Beruf, Ihre Familie, Ihre Kernbeziehungen und Gesundheitsroutinen. Sie bilden das sichere Fundament. Ein substanzieller Teil (ca. 30%) sollte in „Blue-Chip-Aktien“ investiert werden: fokussierte, langfristige Wachstumsprojekte. Das kann die Vertiefung einer beruflichen Kompetenz, das Erlernen einer Sprache auf hohem Niveau oder ein anspruchsvolles sportliches Ziel sein. Die verbleibenden 10% Ihrer Zeit sind Ihr „Venture Capital“: kleine, risikoarme Experimente. Hier probieren Sie Neues aus, ohne den Anspruch auf Perfektion oder einen direkten Nutzen – der Töpferkurs, das Kochen eines exotischen Gerichts, der Besuch einer unbekannten Stadt. Diese 10% sind der Motor Ihrer Neugier und die Quelle unerwarteter Entdeckungen, die wiederum Ihre anderen Lebensbereiche befruchten können.

Beginnen Sie noch heute damit, Ihr Leben nicht als festen Pfad, sondern als dieses dynamische Portfolio zu sehen. Analysieren Sie Ihre aktuelle Zeitverteilung und justieren Sie sie bewusst nach. Der erste Schritt zur Entdeckung ist die Entscheidung, die vertraute Landkarte auch mal zu verlassen.

Geschrieben von Thomas Schröder, Dr. med. Thomas Schröder ist Facharzt für Innere Medizin mit Zusatzbezeichnung Präventivmedizin und seit 18 Jahren in der ganzheitlichen Gesundheitsförderung tätig. Als leitender Arzt eines überregionalen Präventionszentrums entwickelt er evidenzbasierte Programme zur Lebensstilmedizin und betreut Patienten mit psychosomatischen Beschwerden. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation und zertifizierter Stressmediziner.